Vielleicht hast Du es selbst schon mal erfahren... Du schüttest jemandem dein Herz aus und diese Person entgegnet etwas, was darauf anspielt, dass Du die Situation hättest vermeiden oder frühzeitig beenden können. Traurig aber wahr, hier beging Dein Gegenüber "Victim Blaming".
"Victim Blaming" heißt auf deutsch "Opferbeschuldigung" und ist auch als "Täter-Opfer-Umkehr" bekannt. Der Ursprung dieses Begriffs stammt aus einer Vorgehensweise von Strafverteidigern, die durch Schuldzuweisungen an das Opfer versuchen ihren Mandanten (den Täten) vor Gericht zu entlasten. Die Schuld des Angriffs/Übergriffs vom Täter wird damit beim Opfer gesucht - häufig mit Aussagen, die eine Provokation seitens des Opfers zum Täter unterstreichen. Die Tat-Verantwortung wird damit dem Täter entzogen - z.B. der Vergewaltigte lief zu freizügig rum, der/die Geschlagene verhielt sich unangemessen, Gedemütigte hätten toxische Menschen umgehen müssen.
Auch wenn vermehrt solche Anschuldigungen von Dritten stammen - die Zweifel an der Aussage des Opfers hegen und dem wenigstens eine gewisse Teilschuld zuschreiben -, machen sich besonders Narzissten diese Dynamik als Täter gerne selbst zu nutze. Ist der Narzissmus besonders stark ausgeprägt, so kann es sogar dazu kommen, dass nicht nur die Verantwortung auf ein Opfer verschoben wird, sondern Täter erfunden werden, damit der Narzisst sich als Opfer darstellen kann. Dadurch kann er seinen Hass und eine Hetzdynamik rechtfertigen und ihm gegenüber geäußerte Kritik besser abwehren. Ein Beispiel dazu wäre der Rassismus gegenüber Juden im zweiten Weltkrieg.
Kommt der Narzissmus nicht mit so einem übermäßigen Größenwahnsinn einher, so wird nahestehenden Personen Schuldgefühle eingeredet, um die eigene Macht zu stärken. Ein Beispiel hierfür wäre, der eine Partner findet raus, dass der andere fremdgegangen ist. Der Fremdgeher weist daraufhin, dass es nur geschehen sei, weil der andere sich zurückgezogen, nicht gekümmert oder in letzter Zeit weniger um die Beziehung bemüht hätte. Der Fremdgeher gibt damit die Eigenverantwortung ab und erhebt sich in der Macht über seinen Partner, welcher nun mehr Input in die Beziehung gibt und sich anstrengt. Dabei hätte der Fremdgeher viel früher mit dem Partner über seine Gefühle sprechen müssen - die ihn dazu gebracht haben fremdzugehen.
Doch Victim Blaming kommt nicht nur bei narzisstischen Beziehungen vor, sondern kann z.B. auch in Freundschaften auftauchen, bei denen sich eine toxische Basis noch nicht einquartiert hat. Bandelt sich eine Liebesbeziehung zwischen zwei Menschen an und eine dritte Person hat zu beiden Kontakt, so liegt es in der Verantwortung des Dritten sich aus deren Beziehung herauszuhalten. Tut diese Person es nicht, sollte wenigstens die Eigenverantwortung getragen werden, die auch darin besteht, den Parteien ein jeweiliges Fehlverhalten gegenüber zu äußern, statt sich nur für Zusprüche einzumischen.
So hat sich eine Freundin von mir sich eine Zeit lang immer auf die Seite des Mannes gestellt, ihn bestärkt auf mich zuzugehen und mir versichert, dass er ehrliche Gefühle für mich hat. Statt standhaft auf meine eigenen Ansagen ihm gegenüber zu behaaren, habe ich ihr vertraut und ihm weitere Chancen gegeben - da sie fest der Meinung nach Gesprächen mit ihm war, dass er niemals die gleiche Nummer nochmal abziehen würde. Jedes Mal wurde ich von diesem Mann, der wohl starke Gefühle für mich hat, verletzt - und das auf eine Weise die nicht gerade für tiefe Gefühle sprach. Als ich mich bei der besagten Freundin ausgeheult habe - welche mit dem Mann partout nicht über sein herzloses Verhalten reden wollte, außer er sprach es selbst an und wenn würde sie nur den Teil ansprechen, der sie selbst bei der ganzen Geschichte triggerte -, haute sie mir zusätzlich noch den Spruch um die Ohren: "es ist nur passiert, weil du deinen Ansagen nicht treu geblieben bist".
Perfide an der Aussage war noch zusätzlich, dass sie von meiner Ansage wusste und ihm trotz dessen bestärkt hat auf mich zuzugehen, statt (wenn sie sich schon in die Beziehung einmischen möchte) ihn dabei zu unterstützen die vorherigen Fehler nicht nochmal zu begehen. Am Ende hat sie dann mit ihm auch nicht über sein Verhalten gesprochen und damit die Verantwortung des Täters ignoriert, sondern den Bruch unserer Freundschaft noch auf eine Überreaktion meinerseits gewälzt, welchen ich dann nachträglich von dem Mann nochmal um die Ohren bekam im Sinne von: "was hast du wieder angestellt, dass ihr derzeit kein Kontakt habt?"
Victim blaming geschieht immer zu Gunsten desjenigen, der ihn betreibt oder für den man ihn betreibt. Lasse Dir falsche Anschuldigungen nicht gefallen. Wehre Dich. Verlasse die Situationen, wenn möglich. Suche Dir Hilfe. Arbeite an Dir - werde mental stärker. Dafür kannst Du dir auch Coaches oder Therapeuten suchen - das ist absolut nicht verwerflich, denn schnell kann sich aus so einem Psychoterror auch ein Traum entwickeln.
Solltest Du nun zu den Lesern gehören, die selbst Victim Blaming betrieben haben - Sorry seems to be the hardes word. Auch wenn eine nachträgliche Entschuldigung in Deinen Augen sinnlos oder peinlich erscheint, springe über Deinen eigenen Schatten. Du weißt nicht, was Du mit diesem vergangenem Verhalten bei der Person ausgelöst hast und oft hilft es den Opfern schon wenigstens das letzte Stück Gerechtigkeit zu erfahren, dadurch dass Du die Verantwortung für Dein Verhalten tatsächlich anerkennst. Es mag sich nicht immer was an eurer Verbindung ändern, aber es wird auch mehr Frieden in Deine Welt bringen.
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